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Emotion - ein Gastbeitrag

Emotion - ein Gastbeitrag

Ein Gastbeitrag von G. L.

Von Sigmund Freund stammt die Aussage: „Wir sind nicht Herr im eigenen Haus“. Damit meint er wahrscheinlich, dass wir zuerst verstandes-orientiert sind und dadurch unsere gefühlsmäßigen Reaktionen nicht immer im Griff haben; was uns eigene Erfahrungen immer wieder bestätigen.

Dies hat auch dazu geführt, dass dem Intelligenzquotienten (kurz IQ) in der Vergangenheit eine viel zu hohe Bedeutung beigemessen wurde. Der IQ, also ein ganzes Bündel kognitiver, also verstandesmäßiger Fähigkeiten wurde favorisiert, während gefühlsmäßiges Verhalten eher vernachlässigt wurde. Wissenschaftliche Forschungen und Studien in den letzten Jahren und Jahrzehnten betonen dagegen die Wichtigkeit des EQ, also der emotionalen Intelligenz. Vor allem das Lehrbuch von Daniel Goleman mit diesem Titel kann hier genannt werden.

Was sagt diese kurze Darstellung dem von seelischer Krankheit Betroffenen oder dem interessierten Laien? Sie sagt wohl, dass die Weiterentwicklung rein kognitiver Fähigkeiten nicht ausreicht, und wir uns vielmehr mit unserem Gefühlsleben beschäftigen sollten. Wenn wir aber zu unseren „Grundeinstellungen“ gelangen wollen, dann landen wir wohl zwangsläufig bei der SEELE. Der Chirurg sagt : ich habe 1000 Operationen gemacht, aber noch nie eine Seele gefunden. Damit ist für ihn die Sache abgehakt. Aber warum ist die Rede von seelischer Krankheit, warum breiten sich diese Krankheiten immer weiter aus ? Sind wir ein Volk von Hypochondern ?

Wir kennen die Seele im üblichen Vokabular aus der Religion, wir kennen die „gute Seele“, also den herzensguten Menschen oder auch als seelisches Leiden; also in grundverschiedener Bedeutung. Wie können wir diesen Begriff definieren; ist das möglich oder erkennen wir Seele nur an ihrer Auswirkung? Ältere und neuere Meister sprechen hier vom Urgrund des Seins, vom Wesenskern des Menschen oder von der Verbindung zum Universum bzw. einer höheren Macht, die wir üblicherweise Gott nennen. Sollte diese Vorstellung richtig sein, dann hätten wir alle eine Art von göttlichem Funken in uns, den wir uns in den verschiedensten Formen vorstellen können. Er könnte - bildlich gesprochen - zu einer weithin sichtbaren Flamme werden oder auch als Gegenentwurf total verschüttet, also fast unsichtbar sein. Es versteht sich, dass die Seele nicht nur Bedeutung für das Individuum hat, sondern auch Außenwirkung entfaltet. Einer unserer großen Denker hat versucht, alle zuvor gültigen Gottesbegriffe zu entkräften. Auch er ist dabei an seine Grenzen gestoßen und musste feststellen, dass eine absolute Vernunft dem Menschen nicht gegeben ist.

Wir haben gehört von der religiösen Bedeutung der Seele und sind auch schon herzensguten Menschen begegnet; schwieriger oder komplexer wird es bei seelischen Leiden.Die westliche Medizin (und hier vor allem die Schulmedizin) hat die Bedeutung des Emotionalen wohl unterschätzt. Man versuchte, mit Hilfe der Medikamenten- und der Gerätemedizin ähnliche Erfolge zu erzielen wie bei der Behandlung rein körperlicher Beschwerden. Was aber in der fernöstlichen Medizin (TCM etc.) schon lange üblich war, nämlich die Behandlung des ganzen Menschen, mussten unsere Schulmediziner erst noch lernen. Auch der Stellenwert des Psychologen hat damit wohl eine Aufwertung erfahren. Die großen Meister oder Mystiker (nicht zu verwechseln mit den Esoterikern) haben also gewissermaßen ihre Quelle entdeckt und sie erleben reines, ungetrübtes Bewusstsein. Sie erleben totale Befreiung von Normen und Formen und damit dauerhaftes Glück.

Der Gegenentwurf dazu ist der seelisch Kranke. Er erlebt ein Stadium totaler Un-Bewusstheit, also Sinnlosigkeit und Leere, was ihm jeden Lebensmut und auch Hoffnung nimmt. Er hat versäumt, rechtzeitig in ihm angemessenes Lebensziel zu entwickeln mit Werten, die ihm etwas bedeuten; also Fremdbestimmung statt Eigenbestimmung. Damit ist die Chance auf echte Zufriedenheit stark eingeschränkt . Kommen dazu noch Schicksalsschläge familiärer oder beruflicher Art, dann ist der Weg in die Depression fast zwangsläufig. Es geht also nicht nur um Veranlagung und Gene, sondern jeder hat die Möglichkeit, sein Schicksal bis zu einem gewissen Grad mitzubestimmen. Dass eine solch krisenhafte Entwicklung auch zu einem guten Ende führen kann, habe ich selbst erlebt und in meinem Aufsatz „Krise als Chance“ beschrieben.

Wie erkennen wir aber unsere Emotionen, wie erhalten wir Zugang zu ihnen? Wir erkennen sie über die Reaktion unseres Körpers. Jeder von uns hat schon erlebt, welches Gefühl Freude in ihm auslöst, aber auch das Gegenteil, nämlich Wut und Hass. Wichtig ist, sich diese Gefühle bewusst zu machen und achtsam anzunehmen.Was erlebt ein gefühlloser Mensch wirklich ? Er lebt nicht mehr, sondern er existiert, fast schon wie eine Maschine. Als nächsten Schritt sollten wir über unsere Reaktion nachdenken. Freude ist eine angenehme und tolle Sache, aber sie muss ja nicht gleich in Euphorie ausarten. Aber wie sieht es aus bei Wut und Hass . Haben wir da unsere Reaktion immer unter Kontrolle ? Hier gibt es sicherlich noch einiges zu verbessern.

Als Nächstes sollten wir uns bemühen, alteingefahrene Denk- und Verhaltensweisen zu ändern; also schlicht und einfach Gewohnheiten. Welche Denkmuster haben sich nicht im Laufe von Jahren und Jahrzehnten bei mir eingenistet, von denen ich genau weiß, dass sie mir nicht weiterhelfen. Es kann sich um Ess- und Trinkgewohnheiten, aber auch um vieles andere handeln. Um hier eine Änderung zu erreichen, muss ich zuerst meinen Verstand davon überzeugen, dass diese Änderung auch Sinn macht, denn schließlich hat er darüber zu wachen, nichts übereiltes zu tun. Es handelt sich also um eine Interaktion zwischen Verstand und Intuition, zwischen alt und neu. „Das haben wir schon immer so gemacht“, diesen Spruch kennt jeder. Warum soll ich etwas ändern, was über längere Zeit hinweg Bestand hatte? Die Antwort kann verschieden ausfallen, aber es sollte in jedem Fall eine Entscheidung getroffen werden, denn andernfalls verschiebe ich die offene Frage nur in die Zukunft.

Die radikalste Art der Änderung wäre schließlich die Suche nach einem vollkommen neuen Lebensweg, dem ich mich bisher aus den verschiedensten Gründen verschlossen habe. Der häufigste Grund dürfte die Frage nach Sicherheit sein. Bringt mir die Änderung mehr oder weniger an Sicherheit? Aber was heißt eigentlich Sicherheit? Ich kann tausend richtige Entscheidungen treffen, aber nur eine unrichtige kann mich total aus dem Gleis werfen.

Auch hier kann ich nur auf eigene Erfahrung zurückgreifen. Die Denkmuster eines Depressiven wurden bereits beschrieben, ebenso mein Weg aus der Krise. Es war ein langer Weg auch deswegen, weil ich fast krampfhaft versucht habe, wieder in die alte Spur zurück zu finden. Loslassen, zumindest für eine gewisse Zeit, wäre auf jeden Fall der bessere Weg gewesen, weil ich durch die gewonnene Entspannung auch meinen Medikamentenverbrauch stark hätte einschränken können. Hier sehe ich auch eine Fehlorientierung mancher Mediziner und Psychiater, die eine „aufdeckende Behandlung“ für nicht notwendig oder sogar für gefährlich halten. Im Vordergrund steht hier zuerst die Wiederherstellung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Patienten. Wenn ich aber arbeite und funktioniere, dann heißt das noch lange nicht, dass ich auch gesund bin oder werde, denn die Ursache der Erkrankung wurde nach aller Wahrscheinlichkeit nicht gefunden. Folglich werden auch nur Symptome behandelt. Diese Linie weiter zu verfolgen, dürfte wohl nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Es sollte doch Mittel und Wege geben, die uns aus der reinen Leistungsorientierung herausführen, aber die muss jeder und jede für sich selbst entdecken.

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